Noch vor 50 Jahren bis in die Nachkriegszeit hinein waren unsere Dörfer in erheblichem Maße von der Landwirtschaft geprägt. Für die Zeit davor gilt dies in noch viel stärkerem Umfang. In der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts – vor der Industrialisierung – war die Landwirtschaft der wohl größte Arbeitgeber der Menschen hier im Rheinbogen.

Aus dieser Zeit ist uns ein Formulararbeitsvertrag erhalten, der einen Einblick in die Arbeitswelt der Knechte und Mägde mit den damals beste­henden Arbeitsbedingungen erlaubt. Dieses „Ortsstatut“ vom 20.03.1878 regelt das Verhältnis von Herrschaften und Dienstboten in den Gemeinden Osterath, Willich und Anrath. 

Hier bei uns im Amt Lank dürfte es genau die gleichen Bedingungen gegeben haben. Die Namen der Bauern, die damals dieses Ortsstatut aufgestellt haben – vermutlich um einheitliche Regelungen herbeizuführen und um nicht immer bei jedem Knecht einen schriftlichen Arbeitsvertrag abschlie­ßen zu müssen -, sind auch heute noch bekannt, wie etwa Bacher, Bom­mers, llbertz, Körschen, Plönes, Sassen und Weindorf.

Bei der Bewertung dieses Ortsstatus fällt auf, daß die Rechte und Pflich­ten ziemlich eindeutig verteilt sind. Den größten Umfang der Regelungen nehmen die Pflichten der Knechte und Mägde ein, ein Spiegelbild der damals herrschenden sozialen Verhältnisse. Die Arbeitsbedingungen sind heute im Zeitalter von 6 Wochen Urlaub, bezahlten Krankentagen und 37,5 Arbeitsstunden pro Woche kaum mehr vorstellbar. Bereits die Oberschrift der ersten Bestimmungen läßt mit Elindeutigkeit erkennen, wie die Verhältnisse waren. 

Das Rechtsverhältnis zwischen Herrschaft und Dienstboten wird als „Miethvertrag“ bezeichnet, d. h. die Knechte und Mägde wurden (für ein Jahr) gemietet. Alles wird ziemlich genau geregelt, bis auf die Höhe des Arbeitslohnes. Da wollte jeder Bauer wohl einen Spielraum behalten und sich nicht festlegen. Zu Essen gab es morgens Kaffee und Butterbrot oder Mehlsuppe, mittags Suppe, Gemüse, Fleisch, abends Mehlsuppe mit Kartoffeln. Der Brotaufstrich bestand aus Rübenkraut (Kruut) und Weichkäse (Kletschkäs). Wenn dieser Speiseplan auch heute recht eintönig erscheint, so gab es doch genug zu essen.

Hunger zu leiden brauchte ganz sicher niemand. Der weitaus größte Teil der Regelungen betrifft die Essens- und vor allem die Arbeitszeiten, die ganz den jahreszeltlichen Arbeitsbedingungen, d. h. im wesentlichen wohl Sonnenaufgang und -untergang, angepaßt waren. In den verschiedenen Jahreszeiten fiel ja auch unterschiedlich

viel Arbeit an. So gab es angepaßte Arbeitszeiten vom 1. November bis 1. März, 1. März bis 1. Mai, bzw. 1.5. bis 24.8. und 24.8. bis 1.11. eines jeden Jahres. Je nach Jahreszeit begann die Arbeit um 7.00 Uhr, 6.00 Uhr oder im Sommer sogar um 4.00 Uhr. Die reine Arbeitszeit betrug im Som­mer 13 Stunden pro Tag und ging von 4.00 Uhr morgens bis 20.00 Uhr abends, dazwischen lagen insgesamt 3 Stunden Arbeitspausen zum Früh­stück, Mittagessen oder Ausruhen.

§ 13 regelt den Urlaubsanspruch. Die Bestimmung lautet: „Mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, je 2 Tage Sommer- und Herbstkirmes sowie 2 Fastnachtstage ist der Dienstbote an allen Tagen zur Arbeit verpflichtet. Das sind 6 Urlaubstage bei einer 6- Tage- Arbeitswoche, nicht gerade viel Freizeit. 

Wie haben die Knechte und Mägde, die ja schwere körperliche Arbeit leisten mussten, diese Arbeitslasten überhaupt bewältigt? Wir Menschen im ausgehenden 20. Jahrhundert können uns dies kaum mehr vorstellen. Es ist wohl zu vermuten, daß das Arbeitstempo und die nervliche Belastung, denen wir heute vielfach ausgesetzt sind, damals nicht so hoch waren. Aber ohne jeden Zweifel haben die Knechte und Mägde auf den Bauernhö­fen im 19. Jahrhundert enorme Arbeitslasten für sehr wenig Lohn leisten müssen und nur sehr wenig persönlichen Freiraum gehabt.

Ganz deutlich wird dies bei den Mägden, die zeitlich noch eingespannter waren als die Knechte. Ihre Arbeitszeit begann stets um 4.00 Uhr und endete erst nach dem Reinigen des Geschirrs, also nach dem Abendessen etwa um 20.30 Uhr oder 21.00 Uhr. Für die Knechte bis zum 17. Lebens­jahr und für alle Mägde war die Schlafenszeit mit 21.00 Uhr festgelegt. 

Außerdem durften die Mägde ohne Erlaubnis der Herrschaft nicht ausge­hen. Ein klarer Verstoß gegen die Menschenwürde, nur hat das damals wohl kaum einer so empfunden. Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren halt so. Es wäre auch falsch, die sozialen Gegebenheiten im 19. Jahrhundert mit unseren heutigen Maßstäben messen und bewerten zu wollen. Gewiß muss man berücksichtigen, daß der Lebensalltag nicht immer so eng und arbeitsreich abgelaufen ist, wie dies in den juristischen Bedingungen festgelegt wurde.

Persönliches Glück und Zufriedenheit hat es sicherlich auch damals gegeben. Auch die menschlichen und sozialen Einbindungen der Knechte und Mägde auf einem Hof sind nicht zu ver­kennen. Sie – die Dienstboten – gehörten mit dazu und litten keine existenzielle Not, wie etwa teilweise das Arbeiterproletariat in den großen Städten. Aber von der „guten alten Zeit“ wird man wohl auch kaum generell sprechen können.

Anlage zu "Landarbeit"

Arbeitsvertrag Landarbeit um 1878 Seite 1
Landarbeit - Das Statut
Arbeitsvertrag Landarbeit um 1878
Landarbeit - Das Statut
Header Landarbeiterinnen
Unser Titelbild zeigt Landarbeiter bei der Aussaat im alten Amt Lank
(um 1878)

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